30.07.2014

Asylbewerber: Fakten gegen Vorurteile

"Wir können doch nicht ganz Afrika aufnehmen". Wo immer es um Asylsuchende geht, fallen solche Sätze - Sätze, die auf absoluter Ahnungslosigkeit und oft auf rassistischen Vorurteilen gründen. Aber was entgegnen, wenn der Nachbar so daherredet? Eine Übersicht über die häufigsten Vorurteile - und eine angemessene Entgegnung:

#01 Ahnungslose wissen: »Wir können doch nicht die ganze Welt aufnehmen« 

Richtig ist: 
Davon sind wir Lichtjahre entfernt.

Auf der Welt sind Ende 2013 laut UNHCR Global Trends 51 Millionen Menschen auf der Flucht. 86 Prozent der Flüchtlinge weltweit leben in Entwicklungsländern. Die allerwenigsten Flüchtlinge schaffen es nach Europa - weil sie in der Region bleiben wollen und auf baldige Rückkehrchancen hoffen, oder weil sie schlicht keine Möglichkeit haben, hierherzukommen. Legale Wege nach Europa gibt es für Flüchtlinge so gut wie nicht. Beispiel 2013: Knapp elf Millionen Menschen wurden in diesem Jahr aus ihrer Heimat vertrieben. Wie viele kamen 2013 als Asylsuchende in Europa an? 484.500 Menschen, verteilt auf 38 europäische Staaten. Das entspricht nicht einmal fünf Prozent. Also bitte: Wer kann behaupten, wir stünden vor der Frage, die ganze Welt aufzunehmen?

#03 Panikmacher wissen: »Die kommen alle nach Deutschland«

Richtig ist: 
In der EU liegt Deutschland mit seinen Asylzahlen im Mittelfeld.

Hierzulande glauben viele, alle Flüchtlinge wollten unbedingt nach Deutschland. Und tatsächlich: Im EU-Vergleich zeigt sich, dass Deutschland zahlenmäßig die meisten Asylanträge erhält. Das vermittelt allerdings ein trügerisches Bild: Berücksichtigt man die Einwohnerzahl, dann liegt Deutschland seit Jahren europaweit im Mittelfeld. Mit 16 Asylanträgen pro 10.000 Einwohner lag Deutschland 2013 auf Platz neun der EU-Staaten. Allerdings sagt der Vergleich der Asylzahlen innerhalb Europas noch nicht zwangsläufig etwas über die Zahl der Flüchtlinge aus: Beispielsweise werden in Griechenland immer noch tausende Flüchtlinge einfach als Illegale inhaftiert. Weil sie dort keine Chance erhalten, ihren Asylantrag zu stellen, werden sie auch nicht als Asylsuchende gezählt. Tatsächlich dürften die Asylzahlen einiger Länder im Süden Europas also höher sein als angegeben. Übrigens: die Länder, die im weltweiten Vergleich aktuell die meisten Flüchtlinge beherbergen, heißen Pakistan, Libanon, Jordanien, Iran, Türkei. 

#04 Einfältige sind überzeugt: »Die meisten sind nur Wirtschaftsflüchtlinge« 

Richtig ist: 
Die Gründe, die Menschen in die Flucht treiben, wiegen schwer. 

Niemand setzt sich leichtfertig nachts in ein marodes Boot, wissend, dass der Tod droht. Niemand setzt alles aufs Spiel, lässt alles los – die Heimat, Besitz, Familienangehörige, vielleicht sogar Kinder – und das alles nur in der Hoffnung auf den Bezug von Sozialleistungen. Wer Asyl sucht, kämpft oft ums Überleben. Weil im Herkunftsland Krieg herrscht, Verfolgung droht, Diskriminierung an der Tagesordnung oder die eigene Existenz permanent in Gefahr ist.

Mit Abstand die größte Gruppe unter den Asylsuchenden in Deutschland sind derzeit Flüchtlinge aus dem syrischen Bürgerkrieg (rund 12.900 Anträge im ersten Halbjahr 2014). Danach folgen Flüchtlinge, die als Roma in Serbien (9.400 Anträge) und anderen Balkan-Staaten existenzieller Not und vielfältiger Diskriminierung ausgesetzt sind. Dazu mehr unter #5 "Politiker predigen: »Roma haben es nur auf unsere Sozialleistungen abgesehen«" Eine steigende Zahl von Asylsuchenden kommt aus Afghanistan (4.500), wo Anschläge, Verfolgung und Machtkämpfe mehr zivile Opfer fordern denn je. An vierter Stelle der Herkunftsländer steht die Militärdiktatur Eritrea (4.00), die tausende Menschen ohne Anklage und ohne Kontakt zur Außenwelt an unbekannten Orten im Gefängnis verschwinden lässt.

#05 Politiker predigen: »Roma haben es nur auf unsere Sozialleistungen abgesehen«

Richtig ist: 
Populisten machen Stimmung gegen Roma. 

Bei Asylsuchenden aus Serbien und Mazedonien handelt es sich überwiegend um Roma. Dass diese Flüchtlinge arm sind, ist den meisten Menschen bekannt. Weniger klar ist, wie groß ihre Not ist und welche Ursachen das hat. Die zentrale Antwort ist: Wie keine andere Gruppe in Europa werden Roma von vielen in der Mehrheitsbevölkerung abgelehnt und benachteiligt, von manchen sogar attackiert.

Die EU-Kommission hat festgestellt, dass Roma in allen Balkanstaaten einer Rundum-Diskriminierung ausgesetzt sind, die sie daran hindert, ein normales Leben zu führen: Sie erhalten keinen Zugang zu Wohnungen und leben deshalb in Slums, oft sogar ohne Strom und Heizung. Sie haben kaum Zugang zu Bildung, zu Arbeit, zu Gesundheitsversorgung. Nach Angaben der serbischen Regierung haben 30 Prozent der Roma in Serbien kein sauberes Trinkwasser, 70 Prozent keinen Zugang zur Kanalisation. Laut UNICEF haben Roma-Kinder eine um ein Drittel geringere Chance, das erste Lebensjahr zu erreichen, als andere Kinder. Immer wieder werden Roma Opfer rassistischer Gewalt.

Seit 2012 wird asylsuchenden Roma von einigen Politikern öffentlich Asylmissbrauch unterstellt. Die Betroffenen werden in Asyl-Schnellverfahren abgelehnt, die nicht den Standards entsprechen und bei denen das Ergebnis der Ablehnung von vornherein festzustehen scheint. In der deutschen Öffentlichkeit gilt eine Asyl-Anerkennungsquote nahe Null wiederum als Beleg dafür, dass Roma nur der Sozialleistungen wegen kommen.

Statt die Diskriminierung der Roma in ihren Herkunftsstaaten angemessen zu berücksichtigen, wird diese in Deutschland durch fragwürdige Asylverfahren fortgesetzt. Durch die asylrechtliche Einstufung von Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina als „sichere Herkunftsländer“ will die Bundesregierung die individuellen Asylgründe von Roma künftig regelmäßig gar nicht erst prüfen (mehr dazu hier). So werden die Vorurteile gegen Roma hierzulande einmal mehr verstärkt. Inzwischen sollen auch Montenegro und Albanien zu "sicheren Herkunftsländern" erklärt werden - doch auch diese Staaten sind für Roma keineswegs sicher.  

#09 Hetzer behaupten: »Asylbewerber sind gefährlich, kriminell und unordentlich«

Richtig ist: 
Flüchtlinge sind so verschieden wie Menschen eben sind

Auch wenn es immer wieder behauptet wird: Es gibt keine Hinweise darauf, dass Flüchtlinge öfter straffällig werden als andere Menschen. Auch nicht, dass Menschen nichtdeutscher Herkunft krimineller sind als die Durchschnittsbevölkerung.

Gern wird versucht, das Gegenteil mit der Polizeistatistik zu untermauern. Das ist aber irreführend. Denn die Polizeistatistik erfasst Tatverdächtige, nicht TäterInnen. Daraus kann man lediglich schließen, dass „Ausländer“ häufiger unter Verdacht geraten und polizeilich kontrolliert oder angezeigt werden. Beispiel NSU-Morde: Zehn Jahre lang wurden die türkischen oder griechischen Angehörigen der Opfer von der Polizei als mutmaßliche TäterInnen behandelt, während tatsächlich deutsche Rassisten die Täter waren.

Das Bundeskriminalamt selbst nennt Gründe, wegen der „ein Vergleich der tatsächlichen Kriminalitätsbelastung der nichtdeutschen Wohnbevölkerung mit der deutschen ... nicht möglich“ ist. Etwa weil viele Täter „im Dunkelfeld“ gar nicht ermittelt werden. Oder weil eine Reihe von Straftaten - z.B. Verstöße gegen das Aufenthaltsgesetz - von deutschen Staatsangehörigen gar nicht begangen werden können. Die Polizei in Bremen und Berlin sah sich aufgrund der kursierenden Vorurteile tatsächlich veranlasst, eigens darauf hinzuweisen, dass es im Umfeld der örtlichen Asylunterkunft keine erhöhte Kriminalitätsrate gibt.

Tatsächlich verhindern vor allem Vorurteile, Misstrauen und mangelnde Kommunikation, dass Menschen in ihrem Stadtteil ein Gefühl von Sicherheit und Ordnung haben.„Wo jeder jeden kennt“, fühlt man sich wohl. Verunsicherten Nachbarn ist zu raten: lernen sie die Menschen kennen, die bei uns Schutz und Zuflucht suchen. Sie werden feststellen, dass Ihre Ängste auf Vorverurteilungen beruhen. Denn Flüchtlinge sind schlicht so verschieden wie Menschen es eben sind.
  
#14 Engherzige denken: »Wir sollten uns lieber um unsere eigenen Armen kümmern.« 

Richtig ist: 
Das Problem der Armen ist die ungleiche Verteilung des Wohlstands. 

Sind Flüchtlinge arbeitslos, klagen viele über die Sozialhilfekosten, die man ja irgendwie mitbezahle. Sind sie es nicht, fürchten sie die Konkurrenz um Arbeitsplätze. Dabei ist die Angst, dass Flüchtlinge der Wohnbevölkerung die Arbeitsplätze wegnähmen, unbegründet: Forscher, die den Zusammenhang von Zuwanderung und lokaler Arbeitslosigkeit untersucht haben, fanden keine negativen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkterfolg von Einheimischen.

Auch die Rechnung, dass die Versorgung von Flüchtlingen Arme noch ärmer mache, geht nicht auf: Kämen tatsächlich weniger Flüchtlinge, bekäme ein arbeitsloser Hartz-IV-Empfänger nicht einen Cent mehr, geringe Löhne würden deshalb nicht steigen, und Mittelständler hätten nicht weniger Angst vor dem sozialen Absturz. Hinter diesen Sorgen steht nämlich ein anderes Problem: die wachsende Ungleichheit zwischen Arm und Reich.

Im Grundgesetz heißt es in Artikel 14: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Geld ist genug da – würde es zum Nutzen aller Menschen in Deutschland gerechter verteilt, könnten alle angstfrei und menschenwürdig leben. Hier hätten in der Tat viele einen Grund, sich zu beschweren – aber nicht ausgerechnet über Flüchtlinge, die Schwächsten, die diese Zustände am allerwenigsten beeinflussen.
  

Vollständige Liste der Voruteile und die passende Antwort dazu hier: 

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